Die Produktion geht weiter

29. June 2015

Erika Pieger (95) und vier weitere Damen aus dem AWO Servicehaus stricken Mützen, Pullover und Kuscheltiere für Kinder der DIAKO Kinderstation und verstorbene Frühchen für den Verein der verwaisten Eltern in Schleswig

Bitte um Wollspenden

Es ist ein strahlender Sommermorgen. Heike Steckel ist im 1. Stock des Servicehauses unterwegs. Sie arbeitet im ambulanten Pflegedienst der AWO und ist gerade auf dem Weg zum nächsten Mieter. Dabei kommt sie an Erika Pieger (95) vorbei. Frau Pieger sitzt in einer sonnigen Nische im Flur. Das Strickzeug in der Hand ist sie angestrengt in ihre Maschen vertieft. „Moin, Frau Pieger!“, grüßt Frau Steckel, als sie im letzten Moment Frau Pieger erkennt. „Das ist gut, dass sie gerade vorbeikommen”, freut sich Frau Pieger. “Mir ist eine Masche runtergefallen. Können Sie die wieder zurückholen? Ich kann das so schlecht sehen.“ Nach einigen Minuten sind die Maschen wieder vollzählig auf der Nadel, und schon ist wieder das Klappern der Stricknadeln zu hören.

Die Produktion geht weiter in Fruerlund 3Fünf Strickdamen im Alter von 71 bis 95 sind derzeit im AWO Servicehaus Fruerlund wieder eifrig am Werk. “Nach dem Strickprojekt mit Künstler Gerd Brockmann letztes Jahr fielen sie zunächst in ein Loch, und die Frage, was sie nun machen könnten, erhitzte ihre Gemüter”, erzählt Sozialpädagogin Carolin Giesselmann. Socken stricken? Aber für wen? Die Familien und Freunde waren bereits versorgt. Selbst hatten sie auch schon mehr als genug. So entstand die Idee, für die Kinderstation der DIAKO zu stricken: Kuscheltiere, Mützen und Strümpfe. Aber woher die Wolle? Ein Aufruf bei der Zeitung wurde zu einem großartigen Erfolg: “Es kamen Wollspenden über Wollspenden im Servicehaus an”, erzählt Karin Büchel (71). “Selbst Wochen nach dem Aufruf. Die Strickdamen waren begeistert, und ihre Freude stieg. Zu Anfang gingen die Kuscheltiere nicht so leicht von der Hand. Doch nach einiger Zeit wurden die Damen immer schneller und nutzten den Platz in ihren Wohnungen für die fertig gestellten Werke.”

Inzwischen stricken die Damen nicht mehr nur für die Kinderstation, sondern auch für verstorbene Frühchen winzige Mützen und Strümpfe. “Nicht alle konnten mit der feinen Wolle die kleinen Mützen stricken. Erika Pieger, Ellen Petersen (82), Mary Langholz (91) und Karin Büchel jedoch hatten nach einiger Zeit den Dreh raus.” Verschiedene Strickmuster zieren inzwischen die kleinen Mützen und Strümpfe. Karin Margenfeld (75), Ellen Petersen, Mary Langholz und Karin Büchel stricken Kuscheltiere. “So hatte jeder seine Aufgabe”, meint Carolin Giesselmann.

Meist gehen die Damen donnerstags nach Kaffee und Kuchen in Produktion. Anfang Juni hatten sie bereits die erste große Tüte mit den Stricksachen für die Frühchen fertig. Mitte Juni saßen dann schon so viele Kuscheltiere in den Wohnungen, dass auch diese in der Kinderstation der DIAKO abgegeben wurden. “Die ganze Behandlungsliege war von Kuscheltieren, Socken und Mützen bedeckt”, erinnert sich Karin Büchel. Schüchtern fragte die Schwester: „Könnten sie auch Pullover für Zwei- bis Dreijährige stricken?“ Und so geht die Produktion für die Kinder der Kinderstation und die verstorbenen Frühchen weiter. “Der Gedanke, dass die Kinder nach überstandener Untersuchung eines ihrer Kuscheltiere bekommen, ist ein schöner Gedanke”, findet Frau Petersen.

Damit die Produktion weitergehen kann, sind die Strickdamen auch weiterhin auf Wollspenden angewiesen. Gern können diese im Büro des Servicehauses in der Mürwiker Str. 81-83 abgegeben werden.

Hintergrund
„Here‘s still Light“, unter diesem Namen hatte der deutsche Textil-Künstler Gerd G. M. Brockmann gemeinsam mit 17 dänischen und deutschen Senioren und Seniorinnen ein Projekt konzipiert, das bis zum 14. Dezember 2014 in der dänischen Kunst-Galerie “Galleri Nexus” in Uge, Apenrade zu sehen war. Mit dabei waren auch sieben Damen der AWO Servicehäuser Flensburg. Dank ihrer flinken Finger entstand nach und nach eine zeitgenössiche soziale Skulptur, die alle Beteiligten bereicherte und mit großem Erfolg der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
„Kann ein Kunstwerk nationale Grenzen und Altersunterschiede aufheben?“, hatte sich der 37-Jährige gefragt und so die Idee entwickelt, strickende Menschen von beiden Seiten der Grenze zueinanderzubringen, die gemeinsam an einer Kunstinstallation stricken. „Ältere Menschen teilen gern ihr Wissen“, erklärt der Künstler seine Idee. „Sie sind die Träger von Traditionen, werden jedoch allzu oft in unserer Gesellschaft vergessen. Obwohl ihre Zahl ständig wächst, erhalten sie im öffentlichen Interesse wenig Raum. Sie werden zwar betreut und gepflegt, doch darüber hinaus? Als Zeugen der größten Umwälzungen der letzten Jahrzehnte sollten ältere Menschen in gesellschaftliche Prozesse mehr einbezogen werden. Sie bilden die für unsere Gesellschaft notwendigen Brücken zwischen gestern, heute und morgen, zwischen Tradition und Modernität. Wir müssen sie in die öffentliche Sphäre integrieren und innovative Wege wagen.“
Ziel des Projekts war es darüber hinaus, alte Strick-Traditionen wiederzubeleben und das Know-how an die nachfolgenden Generationen zu übertragen.

Die Strickdamen aus Fruerlund