Kiel. Erinnerungen an eine traumatische Flucht, Bombennächte im Bunker oder die Angst vor russischen Soldaten: In dem Film “Nach dem letzten Schuss ist der Krieg noch lange nicht vorbei” der Kieler Filmemacher Kay Gerdes und Jess Hansen erzählen Mieterinnen und Mieter des AWO-Servicehauses in Mettenhof von ihren Kindheitserinnerungen an den zweiten Weltkrieg und die unmittelbare und schwere Zeit danach.
Dafür begleiteten die Filmemacher über zwei Jahre lang einen Gesprächskreis im AWO-Servicehaus in Kiel-Mettenhof unter der Leitung von Psychotherapeuten Dr. Helga Spranger, in dem ein intensiver Austausch über die Kindheitserinnerungen an den Krieg im Fokus standen. Herausgekommen ist ein 39-minütiges Dokument, das dem Zuschauer durch einfache Kameraeinstellung, große Porträtaufnahmen und intensiven Erzählungen der Mieter*innen die dramatischen Erlebnisse der frühen Kindheit in einer so schweren Zeit näherbringen.
Die Bewohner erzählen von ihren verstörten Eltern, die schwere seelische Schäden durch den Krieg erlitten haben, so dass sie teilweise gar nicht mehr darüber sprechen konnten. Von einer gefährlichen und zermürbenden Flucht oder tagelangem Hunger. Über diese inneren Verletzungen sprechen viele in den Gruppensitzungen zum ersten Mal. Verheilt sind sie deshalb nicht. Über die Jahre trauen sich die Mieter*innen mehr und mehr über ihre Erlebnisse zu sprechen. Psychotherapeuten Dr. Helga Spranger analysiert das Erzählte und hilft dabei auch den Bezug zu heutigen Ängsten oder Sorgen der Mieter*innen herzustellen. Teils schwer zu ertragen sind die Geschichten über Gewalt, Hunger, Angst, Hilflosigkeit und Ungewissheit. Stille Naturaufnahmen vom Meer oder von Wäldern geben nach jeder Gesprächsrunde dem Zuschauer die Möglichkeit, das Gehörte zu verarbeiten.
Im Rahmen des 22. „Filmfest SH“ in der Pumpe in Kiel feierte der Film am Sonnabend in einem vollen Kino-Saal seine Premiere und gewann den mit 1000 Euro dotierten ersten Publikumspreis für den Langfilm. Insgesamt wurden am Wochenende in acht Programmen 25 Filme und Serienstaffeln gezeigt. Viele der von der Filmwerkstatt Kiel geförderten Filme kommen nicht in die Kinos und sind nur äußerst selten zu sehen. Daher veranstaltet die Filmwerkstatt selbst ein kleines Festival.
Der Film von Gerdes und Hansen macht deutlich, wie zerstörerisch der Krieg ist und war und wie sehr er auch heute noch alle Generationen betrifft. Für die AWO Pflege Schleswig-Holstein ist der Film nicht nur ein wichtiges zeithistorisches Dokument sondern soll vielmehr auch zukünftigen Generationen von Pflegekräften dienen, die möglichen traumatischen Erlebnisse von pflegebedürftigen Menschen einordnen zu können. Der Film soll deshalb auch in der Ausbildung von Altenpfleger*innen gezeigt und besprochen werden. Er kann helfen bestimmte Ängste oder Verhaltensmuster von pflegebedürftigen Menschen aus der Kriegsgeneration besser zu verstehen.