Als landesweit erster Träger von Altenpflegeeinrichtungen hat die AWO in Schleswig-Holstein eine rund 60-seitige Mitarbeiterinformation Pflege 2014 herausgegeben, in der Beschäftigte des Unternehmensbereichs Pflege die Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen erstmals aus eigener Perspektive statt aus Arbeitgebersicht beschreiben. Sie ist sowohl als gedruckte Broschüre erschienen als auch als leicht lesbares pdf-Dokument abrufbar und strukturiert in Interview-, Porträt- oder Geschichtenform sowie mit zahlreichen Bildern Erfahrungen, Erlebnisse und Einschätzungen der rund 1500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Fakten statt Vorurteile
„Die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Altenpflege werden in der Öffentlichkeit fast immer als schwierig bis hin zu ‘menschenunwürdig’ beschrieben, und unsere Kolleginnen werden oft gefragt: ‘Wie hältst du das nur aus?’“, so AWO-Landesgeschäftsführer Michael Selck über den Hintergrund des Projekts. „Genau deshalb lassen wir sie in der neuen Broschüre erstmals selbst zu Wort kommen und auf diese und viele andere Fragen aus ihrem Arbeitsalltag heraus antworten.“
An erster Stelle stehen dabei Fragen nach Bezahlung und Dienstplangestaltung, Überstunden- und Urlaubsregelungen, aber auch zu Aufstiegsmöglichkeiten, dem Einsatz von neuen Medien oder Teilzeitmodellen: Was verdiene ich hier? Kann ich von dem, was ich verdiene auch leben? Muss ich ständig kurzfristig einspringen? Auch Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Überlastungsanzeigen sind Themen, die offen beleuchtet werden. Gleichzeitig räumen die zum Teil langjährigen Mitarbeiterinnen und die Auszubildenden aber auch mit zahlreichen Vorurteilen über den Beruf auf, der „viel mehr ist als nur Toilettengänge“ (Yvonne Bartels) und einem Mann in der Pflege „ein gutes Gefühl“ gibt (Stephan Fleischmann).
Ziel: Offenheit und Transparenz
„Diese Offenheit und Transparenz im Umgang mit Alter und Pflege sind nicht nur wichtig für junge Menschen, die sich beruflich orientieren wollen, sondern angesichts der vielen Vorurteile, mit denen das Berufsfeld behaftet ist, auch für die Wertschätzung der Beschäftigten in diesem Bereich“, so Roland Weigel vom Beratungsunternehmen Konkret Consult Ruhr (KCR), der das Projekt entwickelt hat. Das Ergebnis zeige: „Hier wie auch in vielen anderen Pflegeeinrichtungen wird auf einem hohen Qualitätsniveau gearbeitet, nicht zuletzt dank verbindlicher Standards und Betriebsvereinbarungen, engmaschiger Kontrollen durch die Heimaufsicht, den MdK und andere Prüfinstanzen. Wenn die Einrichtungsleitung die Bewohnerinnen und Bewohner, die Angehörigen und die Beschäftigten aktiv einbindet, stimmt die Arbeitsatmosphäre und es lässt sich dort sehr gut leben und arbeiten.“
Keine Marketingbroschüre
Bei der rund 60-seitigen Mitarbeiterinformation, so Selck, handele es sich ausdrücklich nicht um eine Marketingbroschüre. Ziel sei vielmehr, Nachwuchs-, Fach- und Führungskräften in der Altenpflege ein authentisches Bild der Organisation, der Abläufe und der Atmosphäre in den Einrichtungen zu zeichnen: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten aus Sicht ihrer jeweiligen Einrichtung, was gut läuft, aber auch was zu tun ist. Sie schreiben von Zufriedenheit und Lachen, aber auch von kritischen Diskussionen, Konflikten und dem Ringen um die richtigen Wege, zum Beispiel im Umgang der Leitungen mit den vielen verschiedenen Anforderungen in ihrer Position: der neuen Pflegedokumentation, der geänderten Tourenplanung, dem Wechsel der Wäscherei oder der neuen Kampagne.“
Instrument der Qualitätsentwicklung
Grundlage für die Entwicklung der Broschüre ist ein von KCR im Rahmen eines Modellprojekts entwickeltes, systematisches Verfahren bestehend aus 150 Fragen, das auch von Trägern in anderen Bundesländern eingesetzt wird und die Einrichtungen somit vergleichbar macht. „Es handelt sich“, so Selck, „also auch um ein Instrument der Qualitätsentwicklung.“: Ein halbes Jahr lang beschäftigte sich ein achtköpfiges Redaktionsteam mit den eingereichten Antworten und Berichten und prüfte diese auf ihre Bedeutung und ihr Verbesserungspotenzial für den Unternehmensbereich. Eingeflossen sind dabei auch Ergebnisse der regelmäßig stattfindenden anonymen Mitarbeiterbefragung, bei der alle zwei Jahre mehr als die Hälfte aller Beschäftigten freiwillig Stellung nehmen zu Fragen wie der Belastung im Arbeitsalltag oder dem Verhalten von Führungskräften.
Fünf „Arbeitswelten“
Auf dieser Basis stellt die „Mitarbeiterinformation Pflege“ den Arbeitgeber AWO Pflege in fünf „Arbeitswelten“ vor. Die „Welt der Vorgesetzten und Kollegen“ informiert über Führungskräfte, Teams und über den Umgang miteinander. Die „Welt der Unterstützung und Förderung“ beschäftigt sich mit Themen wie Gesundheitsförderung, Familienfreundlichkeit und Mitarbeiterbeurteilungen. In der „ Welt der Bildung und Karriere“ geht es um Aus- und Weiterbildungs-, Aufstiegs– und Karrieremöglichkeiten und im Kapitel aus der „Welt der Organisation und Ergebnisse“ um Arbeitsorganisation und Messung von Betriebsergebnissen.
„So erhalten wir tiefe Einblicke in eine Einrichtung, die wir sonst – mangels Informationen – nur aufgrund allgemeiner Infos, Hörensagen oder Vorurteilen beurteilen könnten“, sagt KCR-Geschäftsführer Roland Weigel. „Und schließlich brauchen wir uns nach Lektüre der Broschüre nicht mehr zu wundern, warum – trotz dieser Vorurteile – so viele Menschen genau diesen Beruf gewählt haben und gerne ausüben.“