„Noch regiert der Rechner mich, aber das wird sich ändern“

13. May 2016

Wer Rosemarie Prutz kennt, der weiß: Rosi ist lebensfroh, mutig und neugierig. Und diese Neugierde ist es, die sie auch im hohen Alter von 90 Jahren immer wieder antreibt, Neues auszuprobieren. Seit 2008 wohnt sie im AWO Servicehaus Kiel-Mettenhof. Schon immer gehört sie dort zu den besonders Aktiven. Doch seit dem Sommer 2015 hat sie noch einmal besonders Fahrt aufgenommen. Seit August nämlich besitzt sie den ausgemusterten Laptop ihres gut 50-jährigen Neffen aus Süddeutschland, der es ihr ermöglicht, neue digitale Welten zu erkunden und mit altbekannten Familienmitgliedern auf neuen Wegen in Kontakt zu bleiben.

Diesen neuen „Mitbewohner“ verdankt sie ihrer eigenen Initative: „Weil mein Neffe mir vom Videochat erzählt hat, habe auch ich mir einen Rechner gewünscht.”  Ihre Cousine, die wie ihr Neffe weit weg lebt, ist demenzkrank und kann nicht mehr einfach so mit ihr telefonieren. “Da habe ich mir gedacht, dass es mit Bild besser geht.“

Deshalb ist auf ihrem Laptop das Programm Skype für die Videotelefonate installiert, und auch ein Mailprogramm mit der Adresse seines Neffen und weiterer Verwandter ist verfügbar.

Linksklick, Rechtsklick, Doppelklick

Wer in die Wohnung von Rosi Prutz kommt, sieht den Rechner meist aufgeklappt auf dem Esstisch am Fenster stehen. Hier sitzt Rosemarie Prutz manchmal bis 1:30h in der Nacht. “Nach solchen Nächten erteile ich mir manchmal selbst Rechnerverbot”, sagt sie selbstkritisch. Doch wie sonst – außer mit viel Übung – sollte all das Neue funktionieren?

Linksklick, Rechtsklick, Doppelklick am Trackpad oder an der Maus. Es gibt Symbole für die verschiedenen Programme, aber wofür war noch einmal welches Programm? Die neue Welt bringt einige Herausforderungen mit sich: „Auf einmal standen in einer Mail, die ich schrieb, alle Fragezeichen auf dem Kopf”, erzählt Rosi Prutz, “und zu Beginn habe ich Mails komplett in die Betreffzeile getippt.“

Auch Mails wiederzufinden, die sie bekommen oder geschrieben hat, ist schwierig für Rosi Prutz. Kommt eine neue Mail, zeigt ihr das der kleine rote Kreis am Programmsymbol. Ein Klick darauf, und schon ist die neueste Mail offen. Schwieriger wird es, wenn mehrere neuegekommen sind oder eine Mail nicht mehr als neu erkennbar ist. “Dann sieht jede Mail gleich aus”, erzählt Rosi Prutz von den Herausforderungen, mit denen sie zu kämpfen hat – und formuliert es mit sichtbarer Freude um die Mundwinkel so:

„Noch regiert der Rechner mich, aber das wird sich ändern“. Man zweifelt nicht daran, wenn man diese ältere Dame sieht.

Denn schon jetzt hat sie auch von ersten Erfolgen am Rechner zu berichten: „Bei Skype war ich immer so eine weiße Puppe, aber dann habe bich das Kamerasymbol im Programm entdeckt und so lange rumprobiert, bis ich mir auf einem der Fotos gefallen habe.” Statt der weißen Puppe zeigt Skype nun dieses Bild. Auch die Anzahl der Mailadressen, an die sie schreibt, wird immer größer, das Tippen mit zwei Fingern klappte von Anfang an gut, und noch immer begeistert es Rosi Prutz, wie praktisch es ist, Tippfehler gleich wieder löschen zu können. „Und wenn ich das `Bussi` am Ende der Mail vergessen habe, dann schicke ich gleich noch einen hinterher.“

„Der Mensch spricht ja nicht nur durch Worte”

Rosi Prutz genießt es, dank der neuen Technologie ihre Verwandten so oft zu hören und zu sehen. „Es ist ganz anders mit meiner Cousine zu telefonieren, wenn wir uns dabei sehen können”, findet sie, denn: „Der Mensch spricht ja nicht nur durch Worte. An ihrem Gesicht kann ich Freude sehen, ich kann sehen, dass es ihr besser oder schlechter geht. Ich bekomme eine Reaktion von ihr, auch wenn sie nichts sagt“.

Angst, dass etwas nicht klappt oder kaputt geht, hat sie nicht. „Dann rufe ich eben meinen Neffen an“. Und ein Leben ohne Laptop möchte Rosi Prutz sich nicht mehr vorstellen:

„Er ist mir ans Herz gewachsen und wenn etwas nicht klappt, dann schimpfe ich mit ihm: `Du blöder Hund` oder, wenn es ganz arg ist, auch mal `Du blöder Scheißkerl`”. Und dann macht sie ihren Rechner aus.

Beim nächsten Videotelefonat mit ihrem Neffen wird Rosi Prutz ihn fragen, ob und wie sie mit ihrem Laptop vielleicht alte Bekannte aus der Jugendzeit wiederfinden kann. „Ich stehe da jetzt ja schließlich auch drin bei Google!“.